Pillen gehören nicht ins (Ab-)Wasser

125 Jahre Emschergenossenschaft: Vor 15 Jahren erfolgte der erste Spatenstich für „PILLS-Anlage“ am Marienhospital in Gelsenkirchen

Gelsenkirchen/Dortmund. Von Medikamenten über Kosmetika bis hin zu Waschmitteln – Spurenstoffe finden sich in einer Vielzahl an alltäglichen Produkten. Im Rahmen des EU-Projektes „PILLS“ (Pharmaceutival Input and Elimination from Local Sources) begann die Emschergenossenschaft vor 15 Jahren – am 9. November 2009 – mit dem Bau eines Spezialklärwerks: die „PILLS“-Anlage am Marienhospital in Gelsenkirchen. Ihr Zweck: Spurenstoffe aus dem Abwasser des Krankenhauses filtern – eine Aufgabe, die sie bis heute noch ausführt. Mit der Anlage testete die Emschergenossenschaft primär, inwiefern die Menge der Mikroschadstoffe im Abwasser verringert werden kann. Das Ergebnis des Projektes: Auch wenn trotz eines aufwendigen Klärungsprozesses Reste von Spurenstoffen weiterhin im Wasser nachweisbar sind, tragen die verschiedenen Techniken der sogenannten 4. Reinigungsstufe erheblich zur Verbesserung der Gewässerqualität bei.

Was Menschen hilft, schadet Lebewesen im Gewässer: Bei Rücken- oder Gelenkschmerzen schnell eine Salbe auftragen oder bei Kopfschmerzen fix eine Tablette einnehmen. Doch wenn die Schmerzen beim Patienten schon längst vergessen sind, wirken die Reste der Medikamente in der Natur noch nach. Durch die Abwässer von Gewerbe, Industrie und auch privater Haushalte – z. B. durch Medikamentenrückstände im Urin oder abgewaschene Salben im Duschwasser – gelangen Mikroverunreinigungen in unsere Flüsse. Diese Spurenstoffe schaden der aquatischen Umwelt, also Wasserlebewesen aller Art. Reguläre Großkläranlagen sind durchaus in der Lage, einen Großteil dieser Schadstoffe aus dem Abwasser herauszufiltern – gleichwohl verbleibt ein Rest an besonders hartnäckigen Spurenstoffen im Wasser.

Heute und in Zukunft ist es demnach zunehmend wichtig, dass Spurenstoffe gar nicht erst ins Abwasser eingeleitet werden. Da eine Einleitung jedoch kaum gänzlich zu verhindern ist, müssen vielerorts Kläranlagen um eine 4. Reinigungsstufe aufgerüstet werden, um Spurenstoffe aus dem Abwasser zu filtern – so auch aktuell die Kläranlage der Emschergenossenschaft in Dortmund-Deusen. „Auf der Anlage, die in diesem Jahr ihr 30-jähriges Betriebsjubiläum feiert, entsteht eine Pulveraktivkohlebehandlung mit Belüftung und nachgeschaltetem Tuchfilter“, sagt Dr. Frank Obenaus, Technischer Vorstand der Emschergenossenschaft. „Die Aktivkohle absorbiert Spurenstoffe und filtert sie aus dem Wasser. Diese Kohlepartikel können wiederum abgefangen werden, wodurch lediglich das saubere Wasser in die Emscher zurückfließt“, erklärt Frank Obenaus.

Das nordrhein-westfälische Umweltministerium fördert die Nachrüstung und Optimierung der Kläranlage Dortmund-Deusen sowie die energetische Verbesserung mit 31,4 Millionen Euro. Die Inbetriebnahme der neuen Anlagenteile ist für das erste Quartal 2025 geplant.

Die 4. Reinigungsstufe
Die 4. Reinigungsstufe beschreibt keine festgelegte Methode, um Spurenstoffe aus dem Abwasser zu filtern – vielmehr ist sie ein Sammelsurium verschiedenster Methoden. Dazu gehören unter anderem neben der Aktivkohlebehandlung auch die Membranfiltration mit Aktivkohlezugabe oder eine Behandlung des Abwassers mit Ozon. Diese drei Varianten waren auch in der „PILLS“-Spezialkläranlage der Emschergenossenschaft am Gelsenkirchener Marienhospital erprobt worden – das Projekt lieferte wichtige Erkenntnisse über den Wirkungsgrad und den Betrieb der 4. Reinigungsstufe(n) direkt an der Quelle.

Nach der neuen EU-Kommunalabwasserrichtlinie, die zunächst noch in nationales Recht umgewandelt werden muss, müssen Kläranlagen mit einer Kapazität von mehr als 150.000 EW (Einwohnerwerte) bis 2045 mit einer 4. Reinigungsstufe aufgerüstet werden. Die Erweiterung der Kläranlage der Emschergenossenschaft in Dortmund-Deusen steht dagegen kurz bevor: Derzeit wird sie mit der Elektro-Technik ausgestattet, danach folgen erste Tests und Probeläufe. Voraussichtlich im Frühjahr des kommenden Jahres wird die 4. Reinigungsstufe in Betrieb gehen.

„Jetzt und auch in Zukunft arbeiten wir an Lösungen, um das Abwasser der Emscher-Region auf hohem technischen Niveau zu reinigen. Mit der 4. Reinigungsstufe in Dortmund-Deusen setzen wir moderne Technik ein und filtern bestimme Spurenstoffe aus dem Abwasser. Darüber hinaus ist der Ausbau ein weiterer Meilenstein für eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Abwasserbeseitigung, denn sowohl der Bau der weiteren Reinigungsstufe als auch die Erneuerung der Belüftung in den Belebungsbecken unserer Kläranlage schützen die Emscher und tragen wesentlich zum Klimaschutz bei“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.

125 Jahre Emschergenossenschaft
Die Emschergenossenschaft feiert in diesem Jahr ihr 125-jähriges Bestehen. Am 14. Dezember 1899 als erster deutscher Wasserwirtschaftsverband gegründet, ist die Emschergenossenschaft heute gemeinsam mit dem 1926 gegründeten Lippeverband Deutschlands größter Betreiber von Kläranlagen und Pumpwerken. Die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Unternehmens sind die Abwasserentsorgung, der Hochwasserschutz sowie die Klimafolgenanpassung. Ihr bekanntestes Projekt ist der Emscher-Umbau (1992-2021), bei dem die Emschergenossenschaft im Herzen des Ruhrgebietes eine moderne Abwasserinfrastruktur baute. Dafür wurden 436 Kilometer an neuen unterirdischen Abwasserkanälen verlegt und vier Großkläranlagen gebaut. Rund 340 Kilometer an Gewässern werden insgesamt renaturiert. Parallel entstanden über 130 Kilometer an Rad- und Fußwegen, die das neue blaugrüne Leben an der Emscher und ihren Nebenläufen erleb- und erfahrbar machen. www.eglv.de