Die neue Emscher kommt

Druckfrisch: Unser Buch zur Entwicklung der Stadtlandschaft an der Emscher

Der Emscher-Umbau als Basis für nachhaltigen Landschafts- und Städtebau

Lange galt die Emscher als schmutzigster Fluss Deutschlands. Heute fließt sie oberirdisch abwasserfrei. Ein unterirdisches Kanalsystem ermöglicht ein zukunftsweisendes Abwassermanagement in der am dichtesten besiedelten Region Deutschlands. Der Emscher-Umbau – eine Innovation der Ingenieurbaukunst, eine Blaupause für nachhaltige Landschaftsgestaltung, ein Jahrhundertprojekt.

Jetzt legt die Emschergenossenschaft zum Abschluss der wasserwirtschaftlichen Konversion die Publikation Emscher 20 | 21+. Die neue Emscher kommt. Sozialökologischer Umbau einer regionalen Stadtlandschaft vor – ausführlich, anschaulich, weitsichtig. Verschaffen Sie sich einen ersten Überblick!

Phoenix See in Dortmund. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Emscher in Gelsenkirchen. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Phoenix See in Dortmund. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Hochwasserrückhaltebecken Emscher-Auen in Dortmund. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Emscher-Umbau in Oberhausen. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Emscher-Teststrecke in Dortmund. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Emscher in Dortmund. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Emscher-Promenade in Dortmund. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Kläranlage in Dortmund-Deusen. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Klärwerk Emscher-Mündung in Dinslaken. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Emscher-Mündung in Dinslaken. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Die Emscher-Mündung in Dinslaken. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Emscherquellhof in Holzwickede. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
BernePark in Bottrop. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Boye in Bottrop. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV
Hellbach in Recklinghausen. Foto: Henning Maier-Jantzen/EGLV

Emscher 20 | 21+ – eine „Meistererzählung“

Das Buch Emscher 20 | 21+. Die neue Emscher kommt. Sozial-ökologischer Umbau einer regionalen Stadtlandschaft – eine „Meistererzählung“ zum Emscher-Umbau. Es verdeutlicht die Gesamtstrategie, hebt Leitprojekte hervor, widmet sich Begleitformaten und Kommunikationsoffensiven. Texte, Bilder und Pläne bilden die Transformation der Emscher vom Abwasserkanal zu einem naturnahen Fluss in seiner Gesamtheit ab.

Zudem eröffnet die Publikation Perspektiven, wie es insbesondere ökologisch, klimabezogen und städtebaulich weitergehen soll. Das interessiert Sie? Nehmen Sie hier Einblick in die Kapitel.

Editorial: Die neue Emscher – Mensch und Natur im Einklang

Autoren: Uli Paetzel, Dieter Nellen, Stefan Siedento

Über Jahrhunderte, seit der Frühindustrialisierung um 1800 und durch die voranschreitende Industrialisierung im Ruhrgebiet ab Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde die Emscher durch Abwasser stark belastet. Bis in die 1980er-Jahre galt der Fluss als Kloake. Erste Ansätze in den 1980er-Jahren, eine Renaturierung der Emscher umzusetzen, wurden wegen der zu hohen Kosten abgelehnt. 1992 begann schließlich der wasserwirtschaftlich-ökologische Emscher-Umbau, 2022 ist die Emscher nun abwasserfrei, 2030 werden voraussichtlich alle Revitalisierungsmaßnahmen abgeschlossen sein. Eine Einführung von Prof. Dr. Uli Paetzel und Dr. Dieter Nellen.

Die neue Emscher – Mensch und Natur im Einklang

Die Emscher und ihre Nebengewässer: Naturnahe Gestaltung einer ganzen Region

Die Emscher und die regionale Entwicklung: Transformation von Landschaft und Städtebau

Die Emscher und das Klima: Vom Industriekanal zur blau-grünen Infrastruktur

Die Emscher und die Geschichte: Zeugin der Beziehung zwischen Mensch und Natur

Die Emscher und die Emschergenossenschaft: Strategien und Kommunikation

Die Emscher als Buch: Dokumentations-, Programm- und Zukunftsband

Die neue Emscher – Mensch und Natur im Einklang

Die Emscher durchfließt das nördliche Ruhrgebiet über eine Gesamtlänge von 81 Kilometern. Ihre Quelle liegt in Holzwickede, östlich von Dortmund, ihre Mündung in den Rhein – mehrmals verlegt und jetzt zu einer mäandrierenden Auenlandschaft formiert – bei Dinslaken und Voerde am westlichen Niederrhein. Inzwischen gewinnt der Fluss nach seiner langen rabiaten Inanspruchnahme für die industrielle Abwasserentsorgung eine naturnahe Gestalt zurück. Er ist am Oberlauf aus seinem Betonkorsett befreit und führt kein verunreinigtes Wasser mehr. Der Wasserlauf folgt mehr und mehr den eigenen Gesetzen, wird langsamer, „natürlicher“ und anmutiger.

Über ein Kanalsystem (AKE – Abwasserkanal Emscher) im mittlerweile bergsenkungsfreien Revier, wird nun das Abwasser aus Privathaushalten und Gewerbebetrieben parallel zur Emscher unterirdisch geführt. Vier moderne Kläranlagen in Dortmund-Deusen, Bottrop, Duisburg und Dinslaken reihen sich wie an einer Perlenschnur entlang des gesundenden Flusses. Es sind funktionale Meisterwerke der Ingenieurskunst ohne architektonische Dominanz.

Somit ist der hydrologische Teil dieser großmaßstäblichen Intervention als nachholende Entwicklung fast abgeschlossen. Der im europäischen Vergleich überfälligen Trennung von Fließ- und Abwasser folgen nun die ökologische Aufwertung und landschaftliche Verknüpfung sowie die Schöpfung städtebaulicher und stadtwirtschaftlicher Synergien. Der große baulich-technische Eingriff mit oberirdischer Kanalisierung und stellenweise untertägiger Verrohrung war zu Beginn des Industriezeitalters eine Operation zugunsten von Hygiene, Gesundheit und Entsorgungseffizienz: Die Fließgeschwindigkeit des abgeführten Schmutzwassers sollte sich erhöhen, Schutz vor krankheitsfördernder Überflutung und Verunreinigung bieten.

Die jüngste Intervention, der wasserwirtschaftlich-ökologische Emscher-Umbau, hat Ende des 20. Jahrhunderts (1992) begonnen, beschert nun die sogenannte Abwasserfreiheit und dürfte zum Ende dieses Jahrzehnts (2030) mit allen Revitalisierungsmaßnahmen abgeschlossen sein. Das Ganze ist, ähnlich wie die ingenieurtechnische Begradigung, Eindeichung und Betonierung vor einem Jahrhundert, erneut eine Maßnahme im Zeichen des Anthropozäns, also der raumgreifenden Umformung von Landschaft und Natur durch Menschenhand. Parallel hat die Phase der städtebaulichen Konversion mit der Ausprägung einer neuen Stadt- und Parklandschaft – besonders eindrucksvoll schon in Dortmund-Hörde bei PHOENIX mit See und Park zu besichtigen – seit Längerem begonnen. Sie wird nach Westen bis zur Mündung entlang der Emscher voranschreiten.

Eine solche Transformation wurde noch in den 1980er-Jahren von verantwortlicher Seite wegen der zu hohen Kosten als nicht realisierbar dargestellt. Doch der Rückzug des Bergbaus, sein ökonomischer, industrieller und finanzieller Bedeutungsverlust, ermöglichte die räumliche, städtebauliche und ökologische Neuformation in einem Raum mit 2,2 Millionen Menschen, für die die Emscher lange Zeit neben den unbestrittenen Vorzügen des industriellen Wohlstandes zugleich immer dessen ökologische und atmosphärischen Schattenseiten bereithielt. Manchen gilt die revitalisierte Emscher inzwischen als „Fluss der Versöhnung“, als „Element der Wiedergutmachung“ (Stefan Berger, Direktor des Instituts für soziale Bewegungen an der Ruhruniversität Bochum und Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets).

Die erhebliche Investition von über 5,5 Milliarden Euro tragen inzwischen zu rund 80 Prozent die Anliegergemeinden, also die Allgemeinheit, und zum kleineren Teil die gewerblichen Beitragszahler im Emscher-Raum. Angesichts der konzeptionellen, finanziellen und baulichen Dimensionen wird von einer „Jahrhunderttransformation“, von einem Prozess sowohl selbstinduzierter als auch rahmenrechtlich verordneter Innovation gesprochen. Mit dieser hatte die Emschergenossenschaft – 1899 als operatives „Entsorgungsorgan” des Bergbaus und der Kommunen gegründet und seitdem von diesem Verbund mitgetragen – zeitgleich zur Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park (1989–1999) angefangen. Die IBA hatte sich aus demselben Geist von Aufbruch und Erneuerung 1988/89 auf Initiative der Landesregierung NRW zur „ökologischen und ökonomischen Erneuerung des nördlichen Ruhrgebiets“ konstituiert und über eine ganze Dekade als stimulierendes Element gegenüber den regionalen Akteuren gewirkt. Folgerichtig gab es gerade in den Anfangsjahren einen regen Austausch zwischen IBA und Emschergenossenschaft zum gegenseitigen Nutzen.

Die Emscher und ihre Nebengewässer: Naturnahe Gestaltung einer ganzen Region

Der Jahrhundertumbau umfasst aber nicht nur das lineare Band der Emscher, sondern genauso das – räumlich immer noch unterschätzte – System der 35 Neben- und Zuflüsse mit einer Gesamtlänge von circa 328 Kilometern. Diese Bäche beziehungsweise Vorfluter gelten nach ihrer zumindest stellenweisen Revitalisierung und räumlichen Öffnung zu Recht als städtebauliches, soziales und ökonomisches Entwicklungs- und Begabungsgebiet für die Region. Rund ein Drittel davon ist inzwischen ökologisch aufgewertet, der größere Teil folgt bis 2028. Der Fluss und seine Zuflüsse verlieren ihre rein entsorgende Funktion, die ab dann der unterirdische Kanal übernimmt. Die Trennung von Fluss- und Abwasser schafft die Voraussetzung für die ökologische und städtebauliche Option einer neuen blau-grünen Fluss- und Stadtlandschaft 21+ im Ruhrgebiet.

Das „Neue Emschertal“ bereits 2006 von der Emschergenossenschaft als regionales Entwicklungsziel ausgerufen, holt damit landschaftlich gegenüber den als attraktiver bewerteten Flussbändern der Ruhr im Süden und der Lippe im Norden der Region auf. Die Disparitäten insbesondere zur Hellwegzone als alter und neuer Entwicklungsachse des Landes NRW mit den dort womöglich sogar ausdrücklich gewünschten Urbanitätsvorsprüngen ebnen sich etwas ein. In einer so stark industriell überformten Region wie der Metropole Ruhr steht Landschaftsentwicklung ohne Frage immer auch in einem strukturpolitischen Kontext.

Die Emscher und die regionale Entwicklung: Transformation von Landschaft und Städtebau

Die Herstellung postindustrieller Landschafts- und Stadträume betrifft insgesamt die zahlreichen Brachen, Areale und industriellen Hinterlassenschaften, die den Fluss und sein System auf ganzer Länge umgeben. Die stadträumlichen und landschaftlichen Potenziale von Konversion sind dabei auch in anderen Agglomerationen konzeptionelles Gemeingut von Stadt- und Regionalerneuerung: „Mitten in den Städten, an abrupten Bruchkanten zwischen städtischen Agglomerationen, Landschaft, Verkehrs-, Industrie- und Hafenarealen liegen aufregende Stadträume: Metrozonen, die wichtigsten Potenziale nachhaltiger Stadtentwicklung, Bereiche, in denen sich die innere Stadt und die volle Dynamik der Metropole und ihrer Menschen- und Güterströme entfaltet – in einer ganz eigenen Sprache. Derzeit eröffnen sich an vielen dieser Schauplätze neue Möglichkeitsräume für innovative und nachhaltige Strategien der Stadtentwicklung: Projekte, die […] eine neue Qualität von Stadtraum schaffen – keine Vorstadtidyllen, sondern kraftvolle und lebendige Räume, die ein neues Stück Stadt in der Stadt schaffen“. (IBA Hamburg 2013).

Die großen deutschen bzw. europäischen Flüsse wie Rhein, Donau, Main, Spree, Weser und Elbe haben über Jahrhunderte die Gestalt und Entwicklung ihrer städtischen Anrainer geprägt. Die heute dort nicht mehr gewerblich benötigten Uferflächen eröffnen Chancen für die Rückkehr des Flusses als erlebbarer Stadt- und Landschaftsraum, für zeitgemäßes Leben und Arbeiten in neuen Quartieren. Bescheidener, aber auf ihre Weise durchaus prägend, beflügelt die „neue Emscher“ die Stadt- und Regionalentwicklung im nördlichen Ruhrgebiet. So profitiert auch die für 2027 geplante Internationale Gartenausstellung (IGA) Metropole Ruhr, deren Zukunfts- und Leitareale an Emscher (Dortmund, Gelsenkirchen, Dinslaken/Voerde), Lippe (Bergkamen/Lünen) und in geografisch weiterer, aber themennaher Nachbarschaft des Emscher Landschaftsparks in Duisburg (-Hochfeld) liegen.

Perspektivprojekte des transmontanen Landschaftswandels konstituieren sich mit dem IGA-Zukunftsgarten „Emscher nordwärts“ (2027) in Dortmund, dem nördlich anschließenden Wasser- und Erlebnispark Emscherland als interkommunalem Projekt (Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herne, Herten) oder der „Freiheit Emscher“, einer metrozonalen Konversion im Stadtraum zwischen Essen und Bottrop. Ein Zukunftsstandort wie der Nordsternpark Gelsenkirchen (Bundesgartenschau/BUGA 1997) aus dem Erbe der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park soll ein zeitgemäßes Upgrade erhalten und um eine sogenannte „Zukunftsinsel“ erweitert werden. Die dazu notwendigen städtebaulichen und freiraumbezogenen Gestaltungswettbewerbe sind längst abgeschlossen und liefern nun die überfällige Blaupause für neue Adressen, Quartiere und Räume (Kap. 11), realisiert spätestens zum eigentlichen IGA-Ereignisjahr 2027.

Alle Perspektivprojekte entspringen zunächst jeweils der kommunalen Stadtentwicklungspolitik. Die neue Emscher bietet jedoch das Potenzial zur Verbindung dieser Projekte zu einer gemeinsamen Raumstrategie – ein Entwicklungsband mit starker Netzwirkung im nördlichen Ruhrgebiet. Angesichts der kommenden großen Herausforderungen ist dieses regionale Denken und Handeln von grundsätzlicher Bedeutung für die Entwicklung unserer Region. Zu Recht formuliert die „Neue Leipzig Charta 2020“ als Leitdokument für eine zeitgemäße Stadtpolitik in Deutschland und Europa: „Eine nachhaltige widerstandsfähige Stadtentwicklung ist eingebettet in den weiteren Kontext einer Region oder von Metropolräumen und beruht auf einem komplexen Netzwerk funktionaler Abhängigkeiten und Partnerschaften.“

Interventionen und transformative Investitionen zugunsten urbaner Quartiere, landschaftlicher Areale und Infrastruktursysteme stehen in der Metropole Ruhr unverändert auf der regionalen Agenda. Deren Gestaltung zielt dabei noch stärker auf eine integrative Verzahnung von blau-grüner Infrastrukturentwicklung und städtebaulicher Aufwertung. Der Wandel reicht also inzwischen über die rein wasserwirtschaftliche und landschaftsgestalterische Dimension hinaus und gewinnt Qualitäten mit sozialökologischer Bedeutung für die gesamte Region. Ob damit zugleich Gentrifizierungsprozesse als Folge öffentlicher Interventionen einhergehen oder diese vielleicht sogar zugunsten gesamträumlicher sozialer Differenzierung ausdrücklich erwünscht sind, ist eine Frage, die in dieser Publikation, vielleicht erstmals, wissenschaftlich diskutiert wird.

Die Emscher und das Klima: Vom Industriekanal zur blau-grünen Infrastruktur

Bei den großen Anstrengungen, die zur Überwindung der Verwerfungen im Rahmen des Strukturwandels im Revier unternommen wurden, spielten neben ökonomischen und kulturellen insbesondere ökologische Aspekte eine zentrale Rolle. Ziel war es, ein Netz von blau-grüner Infrastruktur zu entwickeln, von dem vielfältige positive Effekte für die Region erwartet wurden. Anstelle vom „Emscher Landschaftspark“ (ELP) als bisher geläufigem räumlichen Entwicklungsbegriff sprechen die regionalen Akteure inzwischen von der „Grünen Stadtlandschaft“. Der Dreiklang, die Versöhnung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem, soll dabei erhalten bleiben.

Diese Logik spiegelt sich auch in der von der EU veranlassten Biodiversitätsstrategie „Grüne Infrastruktur“ wider und ist zudem inzwischen wichtiger Bestandteil der von der Landesregierung NRW (2017–2022) ausgerufenen Ruhrkonferenz. Dort wurde gemeinsam mit den Kommunen im Ruhrgebiet ein umfassendes Programm zur Klimafolgenanpassung entwickelt. Mit Blick auf die Klimaprognosen steht fest: Bis 2100 müssen sich unsere Städte völlig verändern, muss mehr Platz für Blau und Grün vorhanden sein. Mit dem Gemeinschaftsprojekt und der Serviceorganisation der Zukunftsinitiative „Klimawerk“ im Hause der Emschergenossenschaft macht sich das Ruhrgebiet auf den Weg, diesen Transformationsprozess einzuleiten.

Dazu sollen zum Beispiel im Gebäudebestand Gründächer und Fassadenbegrünungen nachgerüstet werden, befestigte Flächen entsiegelt, Versickerungsmöglichkeiten geschaffen und Baumrigolen gebaut werden. Ziel ist es, mindestens 25 Prozent des Regenwassers nicht mehr in die Kanalisation einzuleiten und die Verdunstung um 10 Prozentpunkte zu erhöhen, um für zusätzliche Abkühlung des Mikroklimas zu sorgen. Dazu stehen bis 2030 insgesamt rund 250 Millionen Euro an Fördermitteln zur Verfügung.

Die Emscher und die Geschichte: Zeugin der Beziehung zwischen Mensch und Natur

Mit dem Beginn der industriellen Revolution in unserer Region begann auch die Geschichte der industriell genutzten Emscher. Ohne die Möglichkeit der schnellen und hygienischen Ableitung der anfallenden Abwässer wären die dichte Besiedlung, die Förderung von Kohle und die Produktion von Stahl nicht möglich gewesen. Vor diesem Hintergrund ist aus heutiger Sicht plausibel, den ersten Umbau des Flusses als Ausdruck einer kapitalistischen Nutzbarmachung zu lesen. Eine Revitalisierung ist dann auf den ersten Blick die Umkehr der begangenen Umweltzerstörung. Sie ist scheinbar eine Rückkehr zu einem Urzustand, die die Folgen der Ausbeutung der Natur heilen möchte. Doch dieser Schluss ist zu kurz gedacht. Vielmehr bieten auch der aktuelle Emscher-Umbau und die damit einhergehenden Maßnahmen zur Erschließung und Erlebbarmachung einerseits und zur ökologischen Aufwertung andererseits Anlass zur Reflexion nach Vorbild einer kritischen Gesellschaftstheorie, die zum Beispiel in der Tradition des deutschen Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno (1903–1969) nach Ambivalenzen und Widersprüchen in aktuellen Vorstellungen von Umwelt und Natur sucht – ein Unterfangen, das sich wohl nur als avantgardistischer Weg einer radikalen Moderne beschreiben lässt.

Welche Vorstellungen weckt der Begriff der Revitalisierung in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger? Was sagen diese Vorstellungen über aktuelle Diskurse in unserer Gesellschaft aus? Wie wirkt die soziale Konstruktion des Naturbegriffs auf die eigenen Planungen und die Bewertung des Emscher-Umbaus? Wo lassen sich Spannungsfelder zwischen den Vorstellungen finden?

Die Emscher und die Emschergenossenschaft: Strategie und Kommunikation

Spätestens in der zweiten Hälfte der Emscher-Transformation 20 | 21+ wurde der gesamte Prozess erneuernder Retroversion durch einen fundierten Konzeptions-, Publikations- und Veranstaltungsrahmen unterlegt, beginnend mit dem Masterplan „Emscher Zukunft – Das neue Emschertal“ (2006) und konsekutiv flankiert durch zahlreiche multilaterale Formate (Ruhrtriennale, Extraschicht, Urbane Künste, Emscherkunst – jetzt Emscherkunstweg –, Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet / Industrial Landscape Ruhr) der regionalen Kultur-, Erinnerungs- und Tourismuspolitik.

Die gegenüber vergleichbaren Verbänden nicht selbstverständliche Kontinuität und Systematik in der verbindenden Planungs-, Kommunikations- und Handlungsstrategie hat sich als zielführend erwiesen und der Emschergenossenschaft ein neues institutionelles Image ermöglicht. Die selbstbewusste Eigenmodernisierung schützte im Übrigen auch vor den zur Jahrhundertwende 2020/21 virulenten Debatten bzw. Dekonstruktionsversuchen bei der Governance an der Ruhr. Die mit einem gleichermaßen nüchternen wie unverzichtbaren Zweckauftrag versehenen Wasserverbände waren zu keinem Zeitpunkt in ihrem Status berührt. Sie bleiben dank ihres stabilen Finanzsystems starke Partner für Daseinsvorsorge und sozio-ökologische Transformation in der Region. Mit Eigenmitteln, Personal, Ortsnähe und administrativer Erfahrung sind sie dem Land NRW vertrauensvolle Partner vor allem bei der Umsetzung einschlägiger EU-Regionalprogramme.

Die Neuausrichtung der Emschergenossenschaft erfolgte also in den vergangenen Dekaden auf allen Ebenen: zunächst und stets vorrangig baulich und infrastrukturell, aber genauso mental, konzeptionell, kulturell und kommunikativ. Am Ende dieses Prozesses ist dem Wasserverband eine mehrdimensionale Konversion mit hoher Vertrauensbildung in den Gesamtraum der Metropole Ruhr und darüber hinaus geglückt. Der Verband hat das Selbstverständnis, dem Genossenschaftsgedanken folgend, die Entwicklung der Region voranzutreiben, die Lebensqualität im Revier zu erhöhen. Er steht als technisch-infrastruktureller Dienstleister fest an der Seite der Kommunen, unterstützt und vernetzt relevante Akteure bei der Bewältigung dringender Zukunftsaufgaben. Auch die äußere Adresse konditioniert sich in den nächsten Jahren sichtbar: Nicht zufällig plant die Emschergenossenschaft an ihrem zentralen Standort in Essen eine auch architektonische, bauliche und technische Arrondierung, ein Upgrade 21+ als unternehmerisches Corporate-Statement für die Zukunft.

Die Emscher als Buch: Dokumentations-, Programm- und Zukunftsband

Die Publikation Die neue Emscher kommt. Sozial-ökologischer Umbau einer regionalen Stadtlandschaft ist zunächst eine Dokumentation der in den letzten Jahrzehnten vollzogenen wasserwirtschaftlichen Transformation der Emscher hin zu einer aufgewerteten urbanen Flusslandschaft in der Metropole Ruhr – mit Strategie, Leitprojekten und landschaftlichen Reversionen. Kulturelle und touristische Projekte, Digitalisierung und Internationalisierung der Emschergenossenschaft als regionalerEntwicklungsagentur kommen hinzu. Sie werden keineswegs als regionstypische Topologie abgehandelt, sondern implizieren argumentativ auch jene „Gegennarrative“, die sich kritisch mit den etablierten Regionalstrategien und kommunikativen Elementen der Industrieästhetik als Imagefaktor auseinandersetzen. Im Zuge der Gespräche und Verabredungen zu dieser Publikation wuchs unter den Herausgebern und Autor(inn)en die Erkenntnis, dass die Region einen frischen Diskurs sowie ergänzende, dialektisch gespiegelte Perspektiven auch zu den etablierten Narrativen von Ästhetisierung und Festivalisierung durch Formate benötigt.

Das Buch und seine digitalen Adaptionen widmen sich gleichzeitig weiterführend bzw. perspektivisch dem in den nächsten Dekaden anstehenden städtebaulichen, ökologischen und sozialen Wandel zu einer „Landschaft mit Urbanität“ und „blau-grüner Infrastruktur“, der die regionalen Entwicklungschancen und gesamträumlichen Verflechtungen des Emscher-Raumes in der Metropole Ruhr mitbestimmen wird.

Im Einzelnen umfassen die Bausteine dieses Bandes zu Historiografie, Strategie, der Transformation und der Kommunikation folgende thematischen Cluster:

  • Geschichte und Struktur (1992–2022) des Umbaus in den letzten drei Dekaden
  • den Prozess der wasserwirtschaftlichen Transformation als Kern des Gesamtprojekts
  • die strategischen Voraussetzungen und sozialen sowie klimatischen Wirkungen des Wandel
  • die ökonomischen und sozialen „Mehrwerte“ der Konversion
  • Kunst und Kultur als diskursive Begleitformate
  • Dokumentationen (z. B. des sog. BerneParks, einer Metamorphose durch Gartenkunst zum „Theater der Pflanzen“) und Einschätzungen zu blau-grüner Infrastruktur und der  etablierten Ästhetik von Industriekultur und -natur
  • die bereits wie PHOENIX in Dortmund realisierten oder für die nächsten Dekaden anstehenden städtebaulichen Perspektivprojekte
  • die Zukunftsformate, insbesondere die Internationale Gartenausstellung (IGA) Metropole Ruhr 2027 und die Idee einer neuen Internationalen Bauausstellung (IBA) Mobilität und Verkehr Rhein-Ruhr 2030ff
  • die globalen Parallelen und Perspektiven
  • die Emschergenossenschaft als regionale Entwicklungsakteurin in europäischer Dimension

 

2006 hatte die Emschergenossenschaft den Masterplan „Emscher-Zukunft“ vorgelegt: als Pendant zum 2005 entwickelten „Masterplan Emscher Landschaftspark 2010“ aus der Hand der damaligen Projekt Ruhr GmbH, einer Tochtergesellschaft des Landes NRW. Eine neue Masterplaninitiative, ein integrativer Regionalentwurf zu Städtebau und Freiraum, Mobilität, Klima für die künftigen Dekaden ist inzwischen erneut angedacht und würde Methodik und System des bisherigen regionalen Handelns fortsetzen. Diese Publikation ist aus Anlass der Herstellung der sogenannten Abwasserfreiheit (2022) auf ganzer Flusslänge ein Programm-, Projekt- und Zukunftsbuch zur Stadt- und Regionalentwicklung und zu künftigen Strategien und Projekten der Emschergenossenschaft als einem der größten europäischen Wasserverbände. Denn diese ist – auch fast 125 Jahre nach ihrer Gründung (1899) – „systemrelevant“ für den Wandel (in) der Metropole Ruhr.

Prof. Dr. Uli Paetzel ist Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband sowie Präsident der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall)

Dr. Dieter Nellen war bis 2014 Fachbereichsleiter beim Regionalverband Ruhr und ist jetzt freier Berater und Publizist.

Prof. Dr.-Ing. Stefan Siedentop ist wissenschaftlicher Direktor des ILS (Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung) und Professor an der Fakultät für Raumplanung der TU Dortmund.

Konzepte und Formate: Bauliche Interventionen – ressourcenschonende Strategien

Autoren: Dieter Nellen, Stephan Treuke

Mitte der 1980er Jahre begann eine Phase baulicher Interventionen an der Emscher, die darauf abzielten, in der Metropole Ruhr die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und das ökologische Gleichgewicht wieder herzustellen. Einen entscheidenden Impuls für das Jahrhundertprojekt gab die IBA Emscher Park, ein auf zehn Jahre angelegtes Zukunftsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen zur Bewältigung der Strukturkrise im nördlichen Ruhrgebiet. Unterschiedliche Formate stützen die Strategie – führen zu technischen Innovationen, vermitteln, vernetzen und schaffen Synergien: Kunst,
Tourismus, Gartenschauen und vieles mehr …

  • Bauliche Interventionen – ressourcenschonende Strategien
  • Nachhaltiges Engagement: Millionenschwere Programme Mitte der 1980er Jahre
  • IBA Emscher Park: Wiederherstellung von Landschaft und neue Stadtqualitäten
  • Zukunftspläne: Strategische Kontinuitäten im neuen Jahrhundert (21+)
  • Kultur an der Emscher: Von der Ruhrtriennale bis zur Emscherkunst
  • Klima, Energie und Mobilität: Internationale Gartenausstellung Metropole Ruhr 2027
  • Faszination.Transformation: Ein Upgrade der Emscher-Strategie

Interview: Prof. Dr. Uli Paetzel über aktive Regionalentwicklung

Redaktion: Dieter Nellen, Friedhelm Pothoff

Willy Brandt forderte einst, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau werden. Inzwischen ist nicht nur der Himmel wieder blau, das Wasser der Emscher ist wieder klar. Der Fluss mäandert durch die Metropole Ruhr, die Auenlandschaften bieten Raum für Erholung, Kunst und Tourismus. Prof. Dr. Uli Paetzel spricht im Interview über die Emschergenossenschaft als regionale Entwicklungsakteurin, die Klima, Ökonomie und Ökologie im Blick hat.

Transformation: Vom Wasserwirtschaftsunternehmen zur Lebensraumgestalterin

Autor: Emanuel Grün

Die Emschergenossenschaft, 1899 als Vertreterin der wasserwirtschaftlichen Interessen von Bergbau, Gewerbe und Industrie sowie Städten und Gemeinden im Ruhrgebiet gegründet, hat den Strukturwandel der Metropole Ruhr als eine der Hauptakteurinnen vorangetrieben und gilt heute als visionäre Gestalterin von Lebensräumen. Die Modellregion Emscher 21+ wird als Blaupause für ähnliche Transformationsprojekte weltweit betrachtet. Von der Beseitigung wasserwirtschaftlicher Notstände über bergbauangepasste Entwässerungssysteme bis hin zu nachhaltigen Lebensräumen …

Keynote: Relevanz und Aktualität regionaler Zukunftspfade

Autorin: Christa Reicher

Das Ruhrgebiet hat in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche Stadt- und Regionalentwicklungsformate realisiert, beginnend mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park (1989–1999) in 17 Städten an der Emscher, folgend mit der Kulturhauptstadt Europas RUHR 2010, mit Essen als der Grünen Hauptstadt Europas 2017 bis zur aktuellen Zielperspektive der Internationalen Gartenausstellung (IGA) Metropole Ruhr 2027 quer durch die ganze Region.

Keynote: Die urbane Differenz des Ruhrgebiets

Autor: Heinz Bude

Die Entstehung des Ruhrgebiets als ein eigenes sozialräumliches Gebilde gehört zur Konstitutionsphase der „verspäteten Nation“ (Helmuth Plessner) mit ihrer schnellen Industrialisierung und ihrer verzögerten Modernierung. Eingefasst in industriefeudale Strukturen, wo der Fabrikant seine Villa auf dem Werksgelände hatte, gruppierte sich die aus den ländlichen Gebieten rekrutierte Arbeiterschaft um den Betrieb als Vergesellschaftungskern. Die Kohle war das Gold der modernsten Volkswirtschaft Europas, die sich anschickte, das Modell Englands, an dem Marx seine Theorie des Kapitals und des endemischen Krisencharakters der darauf sich gründenden Wirtschaft exemplifiziert hatte, zusammen mit den USA hinter sich zu lassen.

Übersichtskarten

Pumpwerke Pumpwerke
Pumpwerke
Masterplan Masterplan
Masterplan
Ordnungszonen Ordnungszonen
Ordnungszonen
Quelle: Bauordnungs- und Planungsamt der Stadt Dortmund Quelle: Bauordnungs- und Planungsamt der Stadt Dortmund
Quelle: Bauordnungs- und Planungsamt der Stadt Dortmund

Das Buch ist im Buchhandel oder beim jovis Verlag erhältlich: ISBN 978-3-86859-748-6 (Softcover) und ISBN 978-3-86859-799-8 (E-PDF).